Satire

Schall und Rauch

Die UMTS-Milliarden und ihr Ende

Berlin. Ein ganz normaler Tag in der deutschen Hauptstadt. Während die Polizei sich die 250. Straßenschlacht in diesem Jahr mit Autonomen liefert und ein Häuflein Rechtsradikaler durch das Brandenburger Tor zieht, während 250.000 aufgebrachte Hundebesitzer, begleitet von 400.000 Hunden, vor dem Kanzleramt geifernd und bellend ihre Anliegen vorbringen, riegelt die Polizei die verbotene Gegendemo des Vereins Anonymer gebissener Jogger und Briefträger (AGJB) ab und diskutiert das Bundeskabinett unter Kanzler Gerhard Schröder das weitere Vorgehen.

Schröder: Schwere Aufgaben warten auf uns. Die drängendste Frage der Republik lautet: Wohin mit den UMTS-Milliarden?

Verteidigungsminister Scharping: Was? (schreckt auf) Milliarden? Ich höre Milliarden?

Schröder (abwiegelnd): Nein, nein. Beruhige dich. Nicht für dich. Und auch nicht für ... zum Teufel, wo ist er überhaupt?

Wie auf Kommando fliegt die Tür auf. Bundesumweltminister Trittin betritt unter massivem Sperrfeuer leerer Getränkedosen erboster Einzelhandelsvertreter den Raum. Zwei Hunde (Golden Retriever) schlüpfen mit hinein. Das gesamte Kabinett springt wie ein Mann/eine Frau wild kreischend auf den altersschwachen Kabinettstisch aus Honeckers Zeiten.

Mehrere Minister (panisch): Hilfe! Schafft die Bestien hier heraus ... SEK ... Bundesgrenzschutz ... kennt sich einer damit aus ... Jürgen, mach doch was!

Trittin (gelangweilt): Abwehrmaßnahmen gegen Kampfhunde fallen in die Kompetenz der Länder. Man müßte den Berliner Umweltsenator alarmieren.

Nach mehreren verzweifelten Telefonaten werden die beiden inzwischen eingeschlafenen Hunde vom 12jährigen Sohn des Hausmeisters abgeholt.

Schröder (wischt sich die Stirn ab): Uff. Das war knapp. Zurück zur Kohle. Wohin damit? Wieviel sind's eigentlich?

Finanzminister Eichel: Bisher 350 Milliarden DM, und kein Ende ist in Sicht. Aber um es klarzustellen: Das Geld wird nicht ausgegeben, sondern in die Schuldentilgung gesteckt.

Laute Buhrufe im ganzen Saal.

Schröder (fängt an zu moderieren): Na, na, Kinder, Hans hat es ja sicher nicht so gemeint. Jeder darf zumindest einen kleinen Wunsch äußern.

Scharping: Also: 50 zusätzliche Eurofighter, 100 große Transporter, Kampfwertsteigerung für den Leo II, digitaler Funk bei allen Teilstreitkräften, und ...

Schröder: Du, Rudi, sagtest du nicht, die Inneneinrichtung deines Luftwaffen-Airbus gefällt dir nicht?

Scharping: Ja, aber ...

Schröder: Okay, die 50.000 DM sind genehmigt. Nächster!

Innenminister Schily: Die Beamten sind neuerdings etwas unwillig, nachdem ich ihnen das Weihnachtsgeld eingefroren, die Lebensarbeitszeit raufgesetzt, die Pensionen gekürzt, die Tariferhöhungen verweigert, Beiträge zur Pensionssicherung abgeknöpft, Zulagen abgeschafft und jahrelang Familien mit Kindern benachteiligt habe.

Schröder: Alles klar. Einführung des Karnickelzuschlags: 100 DM für alle Beamtenfamilien mit mindestens sieben Kindern. (reibt sich die Hände) Das könnte man auch noch gleichzeitig als Bevölkerungspolitik verkaufen.

Eichel: Aber 100 DM pauschal und nicht pro Kind!

Schröder: Selbstverständlich. Soziale Kälte ist gesund! (Schallendes Gelächter im Kabinett)

Außenminister Fischer: Ich brauche Geld, um einen Fonds zu gründen, aus dessen Erträgen deutsche Abenteuerurlauber aus ungemütlichen Situationen herausgekauft werden können. Ich schätze, 6 Milliarden DM müßten für den Anfang genügen. Nicht benötigte Gelder könnten ja in den Etat der Goethe-Institute fließen.

Eichel: Sonst geht's dir gut! Ich konnte drei Nächte nicht schlafen, weil wir für die Wallerts so viel Kohle rausrücken mußten.

Trittin (gelangweilt): Ach was. Vorbeugen ist besser als reparieren. Wir sollten ein Faltblatt herstellen, das an alle deutschen Touristen verteilt wird und das erläutert, wie man sich im Falle einer Geiselnahme zu verhalten hat.

Schröder (überrascht): Hey, guter Einfall, Jürgen. 20.000 sind gebongt. Vergeßt aber nicht draufzuschreiben, daß wir Entführungen ablehnen, daß sie ungesund sind und wir kein Lösegeld zahlen. Nur Entwicklungshilfe für Infrastrukturmaßnahmen.

Gesundheitsministerin Fischer: Ich hätte sooo gern ein oder zwei Milliarden für eine Anti-Raucher-Kampagne.

Schröder (während er sich eine Cohiba-Zigarre anzündet und draußen, hinter seinem Rücken, unter dem Jubel von 250 Glatzköpfen die Reichskriegsflagge auf dem Brandenburger Tor gehißt wird): Hast du īnen Vogel? Stell dir das doch mal im Ausland vor: Deutschland als intolerante Nation von Raucherhassern. Es war für mich und Bernie Ecclestone schon schwer genug, das Tabak-Werbeverbot in Europa abzuschmettern, weil sonst Millionen von Schumi-Fans böse auf uns geworden wären. (Sieht nach draußen und stutzt) Das ist ja unerträglich! Otto, mach uns mal īne Bannmeile!

Gesagt, getan. Otto Schily greift zum Telefon, und kurz darauf zieht die Polizei vom Brandenburger Tor ab und vertreibt eine Abordnung der Schwulen Saunafreunde Gelsenkirchen e.V., die lautstark für die Homo-Ehe demonstriert hatten. Vom Brandenburger Tor her treibt der Wind Gesangsfetzen wie "... von der Etsch bis an den Belt" herüber.

Schröder (schließt befriedigt das Fenster): Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, beim Rauchen. (Gerät ins Grübeln) Eigentlich gar keine so üble Idee, wenn man sie von der richtigen Seite aufzieht.

Fischer: Ach?

Schröder: Man könnte das Geld doch verwenden, um die Streichung der Tabaksteuer zu kompensieren.

Minister Schily, Scharping, Eichel, Fischer und Fischer (protestieren heftig)

Schröder: Kinder, nun denkt die Sache doch mal sorgfältig zu Ende! Wenn eine Schachtel Zigaretten eine Mark kostet, bedeutet das einen enormen Kaufkraftschub für breite Schichten. Zudem hätten wir einen großen Zuwachs bei der inneren Sicherheit: Wo keine Tabaksteuer, da kein Schmuggel und keine Zigarettenmafia ...

Schily: Die Probleme hätten aber verstärkt unsere Nachbarstaaten.

Schröder: Aber eben nicht wir!

Trittin (gelangweilt): Außerdem könnte man endlich etwas für die ökologisch anbauenden Tabakbauern in Süddeutschland tun. Damit bekämst du auch Eddie Stoiber ins Boot.

Gesundheitsministerin Fischer: Das ganze ist doch ... skandalös! (hustet) Gerhard, dein verdammtes kubanisches Kraut macht mich wahnsinnig!

Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (wiegt bedächtig ihren ungeschickt in verschiedenen Rottönen gefärbten Kopf): Na, ich weiß nicht. Wie mir der maximo lider ---

Scharping: Wer?

Wieczorek-Zeul: Mein Freund Fidel Castro natürlich. Er hat mir auf meiner letzten Kuba-Reise in einer kurzen Bemerkung von drei Stunden klargemacht, daß der kubanische Sozialismus auf die zigarrenrauchenden Klassenfeinde in der kapitalistischen Welt angewiesen sei, wenn er überleben will. Daher wäre ein Schritt, wie Gerhard ihn vorschlägt, ein wichtiges Signal unserer Entwicklungspolitik.

Gesundheitsministerin Fischer: Und die Nichtraucher? Die werden entsetzt sein! Sie werden entweder selber zu Rauchern oder, schlimmer, sie wählen uns nicht mehr!

Arbeits- und Sozialminister Riester (hat während der Diskussion eifrig einen Taschenrechner bedient): Man könnte die Nichtraucher ganz leicht überzeugen. (erhebt die Stimme, um sich gegen das Gejaule draußen durchzusetzen) Mittelfristig bedeuten mehr Raucher auch eine niedrigere Lebenserwartung. Es ist schlimm genug, daß wir die 80 Jahre schon überschritten haben. Je mehr Raucher, desto geringer ist die Lebenserwartung, desto geringer werden die Zahlungen in die Renten- und Krankenkasse mittelfristig ausfallen. Auch für die Nichtraucher.

Schröder (fasziniert): In der Tat!

Riester: Wenn wir auf diese Weise in absehbarer Zeit die Lohnnebenkosten spürbar senken, werden uns auch die Nichtraucher dankbar sein.

Gesundheitsministerin Fischer: Also, das ist doch ... absurd! Das würde, zuende gedacht, ja bedeuten, daß Nichtraucher sozusagen Schmarotzer unseres Sozialsystems sind! (hustet erneut)

Schröder: Ich habe das schon immer so gesehen. Der Raucher ist eine soziale Stütze dieser Gesellschaft, ein Aktivposten des "Standort Deutschland".

Scharping: Aber das bedeutet doch eigentlich, daß jeder, der seine oder die Lebenserwartung anderer gefährdet, soziale Stütze dieser Gesellschaft ist.

Schröder (amüsiert über die mangelnde Finesse des Verteidigungsministers): Nein, Rudi, du kriegst nicht mehr Geld. Soldaten zählen nicht. Wir haben ja keinen Krieg.

Riester: In einer ähnlichen Lage wie die Raucher sind eigentlich auch die Hundebesitzer ...

Stille. Nur das erboste Schreien der Hundehalter, das Belfern ihrer Schützlinge und eine besonders widerwärtige, selbstgedichtete vierte Strophe des Deutschlandliedes sind im Raum zu hören.

Schröder (flüstert): Walter, genial! Weg mit der Hundesteuer! Weg mit den Kampfhundeverordnungen! Her mit Millionen von Wählerstimmen! (Das Cheftelefon klingelt) Ja? Was? Aber ... das kann doch ... ich glaub's nicht ... Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben ... ich komme sofort. (legt auf, seine Gesicht ist weiß wie die Wand) Das war Scheurle, der Präsident der Telekom-Regulierungsbehörde. Er sagt, alle ausländischen Bieter einschließlich Mannesmann seien ausgestiegen. Und die Telekom will danach auch nicht mehr. Wir kriegen keinen Pfennig.

Alle (entsetzt): Ja aber ... warum?

Schröder: Sie müssen wohl ferngesehen haben. Ein paar Rechte sind wohl durchs Brandenburger Tor marschiert - Otto, das wird ein Nachspiel haben! -, und die Konzerne sagen, ihr Image würde bei einer so teuren Investition in einem rechtsradikal anhauchten Land leiden. Dabei ist unser antifaschistischer Widerstand doch nun wirklich kaum zu übertreffen!

G.D. / MiWi