Politik

Sprengkraft der Gene

Bald ein Planet voller Einsteins?

Nach Tomaten, Weizen und Schaf rückt nunmehr auch die Krone der Schöpfung ins Rampenlicht genmanipulierender Forschung. Das Genom-Projekt, namentlich die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts, ist freilich weder neu noch ein Geheimnis.
Neu ist jedoch, daß die Gen-Forschung jetzt ihr sowohl ersehntes als auch gefürchtetes Ziel zu erreichen droht: die Manipulierbarkeit physischer Eigenschaften von Neugeborenen. Amerikanischen Forschern ist es jetzt gelungen, das Geschlecht eines Fötus zu beeinflussen. Dies ist die sicher einfachste Art der Einflußnahme und beileibe kein Durchbruch der Genforschung. Und natürlich beeilten sich die familienpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen in seltener Übereinstimmung mit klaren Absagen an jede Art pränataler Genveränderung.

Keine Entwarnung

Die Welt wieder in Ordnung und die Ethik in sicheren Händen wissend, könnte man das Thema eigentlich wieder ad acta legen. Doch weit gefehlt. Ein generelles Verbot von Humangenetik träfe auch das Feld der genbedingten Krankheiten.
Diese entstehen gerade durch "mißglückte Genmanipulationen" seitens Mutter Natur. Die einzige Möglichkeit, solche Krankheiten zu heilen, ist die Korrektur solcher Fehler sofort nach der Befruchtung. Dies ist aus folgenden Gründen ethisch vertetbar:
  • durch die moderne Medizin überleben auch von Natur aus nicht selbst lebensfähige Menschen und können ihre fehlerhaften Gene an ihre Nachkommen weitergeben. Wir nehmen der Natur damit die Möglichkeit, sich durch natürliche Selektion selbständig gesund zu halten. Daraus erwächst uns auf der anderen Seite die Verantwortung, die außer Kraft gesetzte natürliche Gesunderhaltung auf künstlichem Wege sicherzustellen.
  • Kinder mit schweren Erbkrankheiten kümmern sich nicht um die ethischen Befindlichkeiten unbeteiligter Erwachsener. Sie fragen, weshalb ausgerechnet sie unter Schmerzen und Mißbildungen leiden müssen, die von vornherein hätten verhindert werden können. Es bedürfte schon einer unsäglichen Perversion, ihr menschliches Leid mit eigenen ethischen Vorbehalten rechtfertigen zu wollen.


Differenzierung notwendig

Dem Kinde zum Wohl wird man um eine vernünftige Differenzierung der Gentechniken also nicht herumkommen. Dies erweist sich jedoch als schwierig.
Über den Sinn medizinisch motivierter Gentechnik (Krankheiten) einerseits und den Unsinn soziologischer Gentechnik (Geschlecht, Haarfarbe, etc.) kann schnell Einigkeit herrschen. Anders steht es da mit der interessantesten vielleicht genmanipulierbaren Eigenschaft: der Intelligenz.
Erstes Problem: Ist jedes Maß unterdurchschnittlicher Intelligenz als ein "körperlicher Mangel" anzusehen? In diesem Falle läge wie bei Krankheiten eine "medizinische Indikation" vor, die zu korrigierenden Maßnahmen berechtigt.
Zweites Problem: Eine freie individuelle Entscheidung dieser Frage seitens jedes Elternpaares führt sofort zu Gruppenzwang: sind die Nachbarkinder schon künstlich einsteinisiert, so ist man auch beim eigenen Nachwuchs dazu gezwungen, damit dieser nicht später unschuldig ins Hintertreffen gerät.
Drittes und gefährlichstes Problem: Ist die "Gen-Formel" zur "Produktion" hochintelligenten Nachwuchses erst einmal bekannt, kann ein genetisches "Wettrüsten" in Gang kommen, das den dereinstigen nuklearen Wettlauf weit in den Schatten stellt.

Wettlauf um geistige Vorherrschaft?

Was sollte einen beliebigen Staat mit geringen ethischen Bindungen, aber großem wirtschaftlichem Entwicklungsbedarf denn daran hindern, ein solches Gen-Programm zur Zukunftssicherung zu starten? Noch sind es Atomphysiker, die von politisch instabilen Staaten händeringend angeworben werden, bald könnten es Humangenetiker sein. Internationale Kontrollgremien, so wie es sie für die Weltsicherheitspolitik gibt, existieren für Fragen der Genpolitik nicht. Hierfür ist bislang jeder Staat selbst verantwortlich.
Naheliegendes Beispiel sind reiche Ölstaaten wie Saudi-Arabien, deren Geldquellen in sehr wenigen Generationen buchstäblich versiegen werden. Noch ist genügend Geld für teure Genlabore da, und welche Zukunftssicherung ist besser als ein ganzes Land voller Einsteins?
Leider kann auf die Art ein einziges Land einen Domino-Effekt auslösen, dem sich kein Staat entziehen kann, will er nicht seine Zukunft aufs Spiel setzen. Auf der Strecke bleiben alle Menschen, die aus finanziellen, ethischen, religiösen oder politischen Gründen an diesem Bereich der Gentechnik nicht teilhaben können.
Das Resultat kann eine zwischen dumm und hochintelligent polarisierte Weltbevölkerung sein. Es ist wohl jedem bekannt, welche soziale Sprengkraft sich aus solchen Kontrasten entwickeln kann, sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene.

Gen-Gesetze zeitkritisch

Daher ist eine globale Steuerung der Gentechnik insbesondere im humanbiologischen Bereich so notwendig wie die internationale Rüstungskontrolle. Nationale oder kontinentale Insellösungen, so wie sie derzeit praktiziert werden, sind alleine nicht ausreichend.
Die Schaffung internationaler Kontrollgremien muß zudem zeitlich deutlich vor der wissenschaftlichen Entdeckung erfolgen, daß und wie Intelligenz beeinflußbar ist. Ein legislatives Vakuum zu diesem Zeitpunkt würde erlauben, daß Fakten Gesetze schaffen statt umgekehrt.

W.M.